Vorbemerkung
Über die Gemeindeentwicklung bis zum Jahr 1994 gibt es eine zusammenfassende Dokumentation, die Pfarrer Ingo Koll (+2023), der mit seiner Frau, Pfarrerin Almut Birkenstock-Koll, vom Oktober 2009 bis Juli 2016 in unserer Gemeinde tätig war, ausgegraben hat. Nachfolgend eine bearbeitete Version des oben genannten Dokuments.
Bis 1955
Der Gemeindegründung voraus gingen Gottesdienste in Teheran, die von dem renommierten deutschen Pfarrer Ernst Jakob Christoffel (seinerzeit tätig in Isfahan) bis zu dessen Tod im Jahre 1955 geleitet wurden.
Pfarrer Christoffel war der Gründer und langjährige Leiter der „Christlichen Blindenmission im Orient“. Sein Grabstein auf dem armenischen Friedhof in Isfahan bezeichnet ihn als „Vater der Blinden, der Niemandskinder, der Krüppel und Taubstummen nach über 50-jähriger Pionierarbeit“. Der später ihm zu Ehren in „Christoffel-Blindenmission“ umbenannte Verein existiert bis heute.
1. April 1957
Pfarrer Dieter Lyko nimmt als erster von der EKD in den Iran entsandter Auslandspfarrer seine Tätigkeit in Teheran auf.
1957
Pfarrer Lyko konzipiert mit einem vorläufigen Gemeindekirchenrat den Aufbau fester Gemeindestrukturen. Die Gottesdienste finden in der Kirche der Amerikanischen Mission in der heutigen Straße „Si Tir“ (westlich der Deutschen und südlich der Russischen Botschaft) statt. Die Gemeinde zählt im August 1957 bereits 137 Mitglieder. Zu diesem Zeitpunkt wird eine Pfarrwohnung in Gholhak angemietet. Viele Deutsche wohnen bereits in dieser attraktiven Gegend. Auch die Deutsche Schule Teheran DST und der deutsche Kindergarten sind seit 1955 dort angesiedelt. In der Schule übernimmt Pfarrer Lyko den Religionsunterricht. Das Gemeindeleben entwickelt sich rasant. Ein monatlich tagender Frauenkreis und ein Kirchenchor werden gegründet und gut angenommen.
Zu den Aufgaben des Pfarrers gehört insbesondere auch die Betreuung der deutschsprachigen „Kolonien“ an Baustellen – anfangs nur in Nordiran/Mazanderan (Schahi, Behschahr) und Zentraliran (Kaschan, Isfahan, Schiraz).
1958
Am 16. März findet zum ersten Mal in Teheran eine Konfirmation mit 15 Mädchen und Jungen statt.
Am 11. April tagt die erste Gemeindeversammlung in den Räumen der Amerikanischen Mission.
Im Jahres-Bericht werden als Amtshandlungen 13 Taufen, 8 Trauungen und 2 Beerdigungen erwähnt, außerdem zahlreiche Krankenhaus- und Gefängnisbesuche. In der Deutschen Schule werden sonntäglich Kindergottesdienste mit etwa 20 Kindern abgehalten. Die Gemeinde ist auf ca. 400 Mitglieder aus 166 Familien angewachsen.
Im Sommer 1958 kauft Pfarrer Lyko in Deutschland einen VW-Bus. Er soll eine aufwendige Vortragsreise quer durch die Republik ermöglichen. Gezeigt wird, mit Unterstützung des Gustav-Adolf-Werkes und der Landeskirchen, in vielen Gemeinden Deutschlands eine von Teheraner Gemeindegliedern zusammengestellte Ton-Dia-Show über christliches Leben im Iran. Der Erlös wird zur Finanzierung des Gemeindeaufbaus verwendet.
Am 1. Oktober kann ein eigenes Gemeindehaus mit Pfarrwohnung im Stadtzentrum (Pitch Schemiran) angemietet werden. Der erste Gottesdienst dort findet am 1. Advent 1958 statt. Dazu erklingt die neu angeschaffte Walcker-Orgel, die von der Hansa-Dampfschifffahrtsgesellschaft und der Firma Schencker kostenlos antransportiert und nach Bauanleitung selbständig aufgestellt worden war. Bald werden Gemeindeabende mit Schallplatten-Musik, Vorträgen und Diskussionen veranstaltet. Bei großen Ereignissen und Gottesdiensten nutzt die Gemeinde aber weiterhin die Kirche der Amerikanischen Mission.
1959
Der Gemeindekirchenrat beschließt die Beschaffung eines neuen Gestühls und darauf abgestimmt einen Altar und eine Kanzel. Die Gemeinde beschafft das Holz, die deutsche Gewerbeschule Teheran (gegründet 1925) übernimmt die Herstellung.
14. Juni: Die Gemeindeversammlung billigt den nach langen Verhandlungen mit der EKD ausgehandelten Vertrag sowie die Gemeindesatzung. Eine Wahl- sowie eine Kassen- und Haushaltsordnung werden aufgestellt.
Inzwischen gibt es einen Küster.
1960
Die Gemeinde muss erneut umziehen. Das jetzige Pfarrhausgrundstück mit einem eingeschossigen Wohnhaus wird angemietet, um später zusammen mit dem angrenzendem Baugrundstück für die geplante eigene Kirche als Grundeigentum erworben zu werden. Die dazu erforderliche offizielle Registrierung als religiöse Vereinigung erfolgt unter dem (Gründungs-) Datum 10.01.1961.
Die anglikanische Gemeinde gewährt der deutschsprachigen Gemeinde bis zur Fertigstellung der Kirche Gastrecht für Gottesdienste und Versammlungen.
1962
Beim großen Erdbeben von Buinzahra (etwa 200 km nordwestlich von Teheran) am 1. September 1962 mit mehr als 12.000 Toten und 294 zerstörten Dörfern koordiniert der Vorsitzende des Gemeindekirchenrats die Katastrophenhilfen von Botschaft, Schule und Kirche. Der ökumenische Rat der Kirchen baut das Dorf Esmatabad wieder auf.
1963
27. Januar: Einweihung der eigenen Kirche nach nur drei Jahren Bauzeit durch den Präsidenten des Kirchlichen Außenamtes der EKD. Der Neubau wurde möglich durch viel ehrenamtliches Engagement und eine große Spendenbereitschaft. Unentgeltlich steuerte Oberbaurat Schweer den Entwurf bei, Oberstudienrat Hattendorf die Altarwandbilder, Dipl.-Ing. Luther die statischen Berechnungen und die Bauüberwachung. Deutsche Firmen, die Evangelische Kirche in der Schweiz, der Gustav-Adolf-Verein, die Braunschweigische Landeskirche und viele Mitglieder der deutschen, holländischen und schweizerischen „Kolonie“ trugen durch Spenden und Zuschüsse wesentlich zur Finanzierung bei. Die EKD half mit großzügigen Beihilfen und günstigen Krediten.
Am 1. April 1963 tritt Pfarrer Günter Scholz die Nachfolge von Pfarrer Lyko an, der 6 Jahre amtiert hatte.
Der GKR beschließt am 02.04. die sofortige Einstellung des Küsters Ali Agha (tätig bis 1976).
Der Leiter des Bundespräsidialamtes, Prof. Carl Carstens, besucht am 25. Oktober die Gemeinde.
1964
Bundespräsident Dr. Heinrich Lübke schenkt der Gemeinde anlässlich seines Iran-Besuches im Oktober ein zweimanualiges Neupert-Konzert-Cembalo.
Der Gemeindekirchenrat stellt in seinem Jahresrückblick fest, dass die Pastorations-Reisen in die iranischen Provinzen etwa 14 Wochen im Jahr in Anspruch nehmen.
1965
Das Mitteilungsblatt der Gemeinde erhält eine anspruchsvolle Aufmachung und den neuen Titel "Impulse". In dieser Form wird es bis zur Revolution 1979 von einem Redaktionsteam herausgebracht.
1966
Der Vizepräsident des Kirchlichen Außenamtes der EKD besucht die Gemeinde. Man erwartet über 100 Entwicklungshelfer/innen des Deutschen Entwicklungsdienstes DED und arbeitet an der Einrichtung einer Seemannsmission in der Stadt Khorramshahr am Persischen Golf.
Erster Weihnachtsbasar in den Räumen der Deutsch-Iranischen Gesellschaft.
1969
Die Gemeinde ist vom 7. bis 13. April erstmals Gastgeberin der „Nahostkonferenz“ NOK, einem Treffen aller Evangelischen Auslandsgemeinden im Nahen und Mittleren Osten.
Erstmals wird ein ökumenischer Gottesdienst gemeinsam mit der Katholischen Gemeinde gefeiert.
Ein Oberkirchenrat der EKD besucht die Gemeinde, um die Möglichkeit einer Entsendung von Vikaren zu sondieren. Erstmals kommt 1970/71 ein Vikarsehepaar nach Teheran. Ihm folgen das Vikarsehepaar Wragge (1971/72) sowie die Vikare Ingo Koll (1976/77), Grimmsmann (1977/78) und Grobe (1979).
1970
Das Pfarrhaus wird in fünf Monaten umgebaut und aufgestockt und bekommt seine heutige Gestalt. Den Löwenanteil der Kosten trägt die EKD, die Braunschweigische Landeskirche steuert einen kleineren Teil bei. Die Gemeinde selbst trägt etwa 10% der Kosten.
Die Kirchen im Iran erwägen, ein gemeinsames Büro des „Iran Council of Churches“ (gegründet 1951) einzurichten.
1971
Die Gemeinde beteiligt sich an einem gemeinsamen Zentrum der Kirchen bei den Feiern zum 2500-jährigen Jubiläum der Iranischen Monarchie in Persepolis, die vom 12. bis 16. Oktober 1971 stattfinden.
1972
Pfarrer Scholz hält am 4. Juni nach 9-jähriger Tätigkeit seinen Abschiedsgottesdienst, zu dem auch die Botschafter von Dänemark, den Niederlanden, der Schweiz und Österreich eingeladen sind.
Am 1. September 1972 tritt als dritter Pfarrer Hans-Joachim Bernbeck sein Amt in Teheran an.
Das vom Vikarsehepaar Wragge eingeführte "open house" wird fester Bestandteil des Gemeindelebens. Fortgeführt werden auch der von Frau Wragge gegründete Literaturkreis sowie weitere Frauenkreise. Die Anregung zum Aufbau einer professionellen Sozialarbeit wird positiv aufgegriffen.
Die Gemeinde beantragt die Aufnahme in den Iranischen Kirchenrat (Iran Council of Churches).
1973
Am 15. Februar nimmt die erste Sozialarbeiterin der Gemeinde, Frau Irmgard Badri, ihre Tätigkeit auf. Sie bleibt bis zum 31.07.1986.
Im September sucht eine große Flutkatastrophe Pakistan heim; die Gemeinde beteiligt sich an
Hilfsaktionen.
Der Weihnachtsbasar wird verlegt in den benachbarten Deutschen Kindergarten.
1974
Die Gemeinde ist zum zweiten Mal Gastgeberin der Nahostkonferenz (03. bis 10.03.)
Der sprunghafte Anstieg des Ölpreises 1973 löst gewaltige Wachstumspläne im Iran aus. Man erwartet bis zu 750. 000 ausländische Entwicklungsexperten.
Es gibt Ansätze zur Gründung einer deutschen Universität.
Die Gemeinde beteiligt sich an der Interessengemeinschaft deutscher Frauen IAF e. V. (inzwischen umbenannt in Verband binationaler Familien und Partnerschaften).
1975/76
Erstmals wird mit großem Erfolg ein „Tag der Begegnung“ durchgeführt und ein Seminar für Neuankömmlinge angeboten.
In diesem Zusammenhang erscheinen drei Broschüren:
„Aus Persischen Töpfen“ von Sibylle Baghestani, herausgegeben von der Ev. Gemeinde (1974); „Zuhause im Iran“, die deutsche Ausgabe der von der St. Pauls Episcopal Church herausgegebenen Broschüre „At home in Iran“, auf deutsch gemeinsam herausgegeben von der Ev. und Kath. Gemeinde (1975); „In Iran - Handbuch für Neuankömmlinge“, herausgegeben von einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Bundesrepublik Deutschland, Österreich und der Schweiz (1976).
Die neu gegründete amerikanische lutherische St. Thaddäus-Gemeinde erhält Gastrecht in der Kirche.
Pfarrer Bernbeck besucht das Kurdengebiet und berichtet über die Flüchtlingsproblematik.
Die EKD interveniert zugunsten von zehn zum Tode verurteilten Schah-Oppositionellen.
Für kurze Zeit entsteht eine Debatte, ob die Gemeinde mit ihrem Status einer Auslandskirche in die Gruppe der einheimischen Inlands-Kirchen integriert werden soll.
„Küster“ Ali Agha wird verabschiedet und ersetzt durch „Küsterin“, Roghiyeh Khanom (bis 1995).
1977
In der Gemeindeversammlung verzeichnet der jährliche Rechenschaftsbericht über das vergangene Jahr 237 Mitglieder; 37 Konfirmanden, 2 Beerdigungen, 7 Taufen, 6 Trauungen; in der Provinz Gottesdienste und/oder Gemeindenachmittage in den Städten Minab (2), Kalan (3), Buschehr (3), Neka (2), Schahi, Jiroft und Partchin; Religionsunterricht an der deutsch-iranischen Mohlavi-Schule
(2 Std. pro Woche) und an der Deutschen Schule Teheran DST (16 Std.), aufgeteilt auf Pfarrer und Vikar.
1978
Die Gemeindeversammlung vom 16.04. verabschiedet eine Neufassung der iranischen Statuten, deren geplante Veröffentlichung zum Jahresende aufgrund der äußeren Entwicklung aber unterbleibt.
Am 08.09. wird im Iran das Kriegsrecht verhängt. Die Gemeinde verlegt ihre Gottesdienste auf außerhalb der Sperrstunden und später auf den Freitag-Vormittag, um wegen der Benzinknappheit Autofahrten am Sonntagabend zu vermeiden. Nach dem Freitagsgottesdienst gibt es einen „Suppentopf“.
Ein Erdbeben bei Tabas im Zentrum Irans mit 15.000 bis 26.000 Toten am 16.09. erschüttert den Iran und veranlasst die Kirchen zu einer konzertierten Hilfsaktion.
Im November entstehen durch die Revolution und die Gegenmaßnahmen des Schah-Regimes Versorgungsengpässe. Im Dezember beginnen die ausländischen Firmen, Personal abzuziehen.
Durch eine Sondergenehmigung kann der Weihnachtsbasar stattfinden, „als wäre nichts gewesen“.
1979
Im Januar wird die Deutsche Schule Teheran bis auf weiteres geschlossen, was die Abwanderung von Ausländern erheblich beschleunigt. Die Abiturklasse kann nach 6 Wochen Unterricht in der Kirche wenigstens zur Reifeprüfung geführt werden. Nach der Rückkehr Imam Khomeinis am 01.02. und dem Ende des Kaiserreiches am 11.02. kann die Schule den Unterricht wieder aufnehmen (Im Frühling 1980 wird sie, im Jahr 1976 noch größte Auslandsschule Deutschlands mit fast 2000 Kindern, definitiv seitens des neuen Regimes geschlossen).
Der Gemeindekirchenrat kann nur noch behelfsmäßig mit den im Lande Verbliebenen arbeiten, die Gemeindeversammlung 1979 entfällt.
Während einer viermonatigen Krankheit von Pfarrer Bernbeck helfen Geistliche anderer Kirchen, Gemeindekirchenräte und ein Aushilfsvikar bei der Durchführung der Gottesdienste.
1980
Im April ist die Zahl der Gemeindeglieder von rund 250 auf 107 gesunken, die der Gottesdienstbesucher von 35-40 auf 25-3O. Von den Baustellen-Camps existiert nur noch Neka am Kaspischen Meer und Kalan.
Die seit Januar 1978 immer stärker werdenden Volksunruhen führen zur Abdankung des Schah (16.01.1979), zur Rückkehr Imam Khomeinis (01.02.1979) und der Ausrufung der Islamischen Republik (01.04.1979), zur Besetzung der US-Botschaft (04.11.1979, Dauer 444 Tage) und zur Formierung der Islamischen Republik (im Dezember 1979 Verabschiedung der neuen Verfassung).
Es folgt der sowjetische Einmarsch in Afghanistan (Jahreswechsel 1979/8O) und der Beginn des irakisch-iranischen Krieges (September 1980 bis August 1988).
Das Attentat auf führende iranische Politiker am 28.06.1981 mit 74 Toten und die Flucht Banisadr's (erster gewählter Präsident der Islamischen Republik) am 29.07.1981 halten das Land in Atem, bis es dem Regime 1982 auf seine Weise gelingt, die Kontrolle zu erringen.